Erstes Netzwerktreffen der Charta für Partnerschaftliche Interessenvertretung im ländlichen Raum

Was sind die Hürden für Frauen und wie es andere Unternehmen machen.
Unterzeichnung der Charta durch SVB-Obfrau Theresia Meier und Bundesbäuerin Andrea Schwarzmann .jpg
Unterzeichnung der Charta durch SVB-Obfrau Theresia Meier und Bundesbäuerin Andrea Schwarzmann © SVB
Am 26. November hat die ARGE Bäuerinnen Partnerorganisationen und Absolvent:innen des Zertifikatslehrgangs “ZAMm unterwegs“ zum ersten Charta-Netzwerktreffen eingeladen, um die Umsetzung im Agrarbereich weiter voranzubringen. Ziel ist es, Hindernisse abzubauen, Rahmenbedingungen zu verbessern und mutige Frauen zu bestärken, Führungsrollen zu übernehmen. Politikexpertin Kathrin Stainer-Hämmerle erläuterte die Gründe für einen geringen Frauenanteil in Entscheidungsgremien und zeigte Motivationsansätze auf. Drei Best-Practice-Beispiele innerhalb und außerhalb der Agrar-Szene gaben Einblick in ihre eigenen Umsetzungsmaßnahmen und Erfolge.

Charta ist klare Selbstverpflichtung

“Die Charta ist eine klare Selbstverpflichtung, um Partnerschaftlichkeit in der Land- und Forstwirtschaft aktiv zu leben. Sie ist ein wesentlicher Schritt, um die Chancengleichheit von Frauen und Männern auszubauen - denn eine innovative und zukunftsorientierte Landwirtschaft ohne Frauen ist undenkbar“, betonte Bundesbäuerin Irene Neumann-Hartberger und verwies dabei auf den hohen Anteil an Bäuerinnen (35%), die alleinverantwortlich Betriebe leiten und somit auch in Entscheidungsgremien stärker vertreten sein müssen. “Eine attraktive Interessenvertretung braucht die Perspektiven von Männern und Frauen gleichermaßen. Wir wissen, dass eine ausgewogene Beteiligung von Frauen in Gremien - schon ab 30% - nicht nur die Arbeitskultur bereichert, sondern auch die Problemlösungskompetenz und Innovationskraft enorm stärkt.“
 

Beharrlich Ziele verfolgen und Bewusstsein schaffen

Da es keine lineare Entwicklung von Frauen in Entscheidungsgremien gibt, wie die Entwicklung in der politischen Landschaft - von der Nationalratsebene bis auf die kommunale Ebene in Österreich zeigt, sei es umso wichtiger am Ball zu bleiben und beharrlich am Bewusstsein bei beiden Geschlechtern zu arbeiten, betonte Politikexpertin und FH-Professorin Kathrin Stainer-Hämmerle in ihrem Referat, in dem sie die politische, die institutionelle und die persönliche Ebene aufzeigte. Sie merkte auch an, dass es auch viel zu selten role models gebe, die junge Frauen animieren, sich politisch oder in der Interessenvertretung zu engagieren.
 

Unterschiedliche Sichtweisen: Kein Interesse oder mangelndes Selbstvertrauen?

Dazu kommt, dass Männer sich nicht bewusst sind, dass Frauen Hemmnisse haben, Führungspositionen anzunehmen, wie die Expertin anhand einer aktuellen Umfrage unter amtierenden Bürgermeister:innen veranschaulichte. So sagten 84,2% der Männer aus, die Erwartungen an beide Geschlechter in diesem Amt seien gleich, wohingegen 58,4% der Frauen sehr wohl Unterschiede sehen. “Das zeigt, dass Männer glauben, Frauen hätten die selben Chancen, sie müssten nur tun und nichts hindert sie daran - während Frauen sehr wohl aber noch die vielen Stolpersteine sehen, die es ihnen schwerer macht, als Männern in vergleichbaren Situationen“, so die Expertin.
 
Gründe für den unterschiedlichen Frauenanteil im Bürgermeisteramt sind für beide Geschlechter in erster Linie die schwierige Vereinbarkeit von Familien und Amt, wobei die Männer dies als größeres Problem für die Frauen sehen. Sie schreiben ihnen auch wenig Interesse an politischer Teilhabe zu, während Frauen sich selbst wenig Selbstvertrauen bescheinigen und sich nicht zutrauen, in die erste Reihe zu treten. “Ihnen wird signalisiert, sie seien unzureichend“, so Stainer-Hämmerle, “das bedingt, dass Frauen öfter gefragt und mehr motiviert werden müssen!" Weitere wichtige Gründe für Frauen sind die männlich geprägte Parteikultur und das traditionelle Frauenbild in der Gesellschaft.
 
Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich ebenso bei der Frage nach sinnvollen Maßnahmen: Während sich Frauen für eine Quotenregelung oder das Reisverschlusssystem auf parteipolitischer Ebene aussprechen, halten Männer diese für wenig effektiv. Sie befürworten hingegen viel mehr Frauenorganisationen, während Frauen mit am Haupttisch sitzen wollen. Auf wenig Begeisterung bei Männern stößt der Vorschlag nach einer Evaluierung der Sichtbarmachung von Frauen in der eigenen Kommunikation. “Das Ergebnis ist vorhersehbar, nämlich, dass man Frauen, die etwas leisten, zu wenig Bühne bietet“, so die Expertin.

Wir müssen uns nicht für die Quoten-Frau schämen

Auf persönlicher Ebene werden die persönliche Ansprache und Ermutigung als effektivste Maßnahmen genannt. Auch das Teilen von Erfolgsgeschichten, wie Männer es machen, könnten Frauen sich abschauen, nach dem Motto “Lobe jeden Tag eine Frau!“ Nicht zuletzt findet das persönliche Engagement in Jugendorganisationen zur Nachwuchsförderung zu wenig Beachtung bei Frauen, merkte Stainer-Hämmerle an.
 
Sie räumte auch mit dem Vorbehalt auf, es sei beschämend, über ein Quotensystem in eine Position zu kommen. “Männern ist es egal, ob sie Quotentiroler oder -bauernbündler sind, wieso sollten sich Frauen dafür schämen?“, so Stainer-Hämmerle, die auch die gängigen Abwehrstrategien von Männern kennt wie “Frauen wollen gar nicht in die Politik“, “das ist ein viel zu hartes Umfeld für Frauen“ und nicht zuletzt “es gibt wichtigere Probleme“.    
 
Wenn es zu wenige Frauen in den Gremien gibt, hänge dies oftmals an den strukturellen Rahmenbedingungen, wenn Frauen hingegen Interesse haben, aber den letzten Schritt nicht wagen, fehle es am entsprechenden Empowerment, so Stainer-Hämmerle weiter. Die politische Ebene sei dabei die langfristigste, aber man könne mit der persönlichen beginnen und dann auf der institutionellen Ebene etwas verändern. Dazu zähle auch das Aufzeigen einer Schieflage.

Netzwerke der Männer für Frauen öffnen

Frauen in politischen Positionen sind belastbarer als ihr männliches Pendent, sie beklagen sich weniger über Bürokratie oder fehlende Anerkennung. Dafür kritisieren sie die Sitzungs- und Redekultur, die Parteidisziplin sowie fehlende Netzwerke und Unterstützungsstrukturen.
 
Die wichtigsten Faktoren für Frauenmangel sind schon lange bekannt - geringes Interesse an institutionalisierter Politik sowie politische Karrieremuster, die ihnen den Aufstieg erschweren, sie sind wenig eingebunden in informelle Entscheidungen und werden in politischen Parteien zu wenig gefördert, etc., wogegen es unbedingt Maßnahmen braucht.

Forderungen von Frauen nicht trivialisieren, und ebenso wenig, was sie leisten

Eine Handvoll Tipps der Expertin sollen Frauen dabei helfen, in der Vertretungsarbeit und in der Politik oder Interessenvertretung Fuß zu fassen. Dazu zählen etwa, den Schritt zu wagen und eine Funktion anzunehmen, sich Netzwerke zu suchen, keine reinen Männerrunden zu akzeptieren, traditionelle Rollenzuschreibungen anzusprechen, andere Frauen zu fördern, sich nicht auf “Frauenthemen“ festlegen zu lassen, jede Gelegenheit zum Kontakt zu nutzen, sich auf wenige Themen zu fokussieren und sich Verbündete zu suchen - bei Frauen und Männern.

 
Keynote Dr. Kathrin Steiner Hämmerle © Bäuerinnen Österreich

Drei Best-Practice-Beispiele

LK Niederösterreich hat eigene Arbeitsgruppe zur Charta-Umsetzung
 
In NÖ haben im Jahr 2022 insgesamt 26 kammernahe Verbände die Charta unterzeichnet. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe legt seitdem Maßnahmen fest und setzt sie um. “Wir haben einen Gender Equality Plan auf Mitarbeiter:innenebene mit Inhalten entsprechend der Charta erstellt, der u.a. zu einem transparenten Rekrutierungsverfahren, gleichem Lohn für gleiche Arbeit und Maßnahmen für die Vereinbarkeit geführt hat. Auch die Arbeitszeitgestaltung wurde sehr offen festgelegt“, erläuterte der Gleichstellungsverantwortliche Manfred Steinkellner. Kammerintern gibt es einen Lehrgang für Mitarbeiter:innen zum Thema “Führung schnuppern“, mit “Let´s Netz“ wird Netzwerken für Frauen ein Platz gegeben. Es gibt ein Beratungsprodukt zur Gleichstellung und sozialen Inklusion, eine Weiterbildungsreihe zu Mobbing und ein Vortrag zum Thema “Rechte der Frau in der Landwirtschaft“ befindet sich in Planung.
 
Bislang gibt es auf Ebene der Kammerräte 25% Frauen, im Präsidium war das Verhältnis 1:3 und unter den Kammerobmännern befindet sich keine Frau. Neuwahlen finden 2025 statt.
 
Infineon: Gender Diversity ist Investition in die Zukunft
 
Die Infineon Technologies AG, österreichischer Produzent für Halbleiter- & Systemlösungen, sieht sich beim Thema Gleichstellung “gut unterwegs, aber noch nicht am Ziel“. Der Frauenanteil in den Managementpositionen hat sich seit 2010 fast verzehnfacht (17 -> 154). Gender Diversity wird von Infineon als Möglichkeit gesehen, das volle Potenzial zu nutzen. Mit unterschiedlichen Maßnahmen werden gezielt Frauen angesprochen und eine Kampagne visualisiert die Leistungen von Frauen und fördert gezielt Technikerinnen als Vorbilder im Unternehmen. Sehr wichtig sei es, “dran zu bleiben, auch wenn es lange Zeit braucht, bis Erfolge zu sehen sind, entsprechende Formate anzubieten und role models als Multiplikatorinnen zu finden“, erklärte Christiana Zenkl, vom Head of Human Resources. Infineon setzt bei sehr jungen Frauen mit der Bewerbung für MINT-Berufe an und bietet ihnen gute Strukturen und Rahmenbedingungen. “Wir sehen das als Investition in die Zukunft“, so Zenkl. Wichtig sei dabei “ganz oben eine Frau zu haben, die das unterstützt.“
 
Salzburg Milch hat Frauenanteil im Vorstand und Aufsichtsrat deutlich erhöht

 
Katharina Seywald, hat den ZAMm-Lehrgang vor zehn Jahren genutzt, um sich ein riesiges Netzwerk aufzubauen. Die Absolventinnengruppe trifft sich noch immer regelmäßig und stärkt sich gegenseitig. Seywald ist vor acht Jahren in den Vorstand des Milchliefervereins für den Tennengau gekommen - als einzige Frau. Seit 2018 ist sie Mitglied im Bauernbund, seit 2019 im Gemeinderat und seit 2013 Ortsbäuerin, war zwei Jahre Vizebürgermeisterin und ist aktuell Stadträtin. Zur Salzburg Milch ist sie durch den Milchlieferverein gekommen. In der Genossenschaft wurde in den vergangenen Jahren ein Erneuerungsprozess vorangetrieben, mit dem Ziel, für die jüngsten Wahlen (November 2024) mehr Frauen für Vorstand und Aufsichtsrat zu gewinnen. Im Zukunftsprozess wurden Änderungen angestoßen, um sich innerhalb der Genossenschaft neu aufzustellen. So wurde ein Schulungsprogramm ähnlich dem des LFI für alle Delegierten und Aufsichtsräte initiiert.
 
Bisher gab es im Vorstand und Aufsichtsrat eine Frau, mittlerweile sind es sechs von insgesamt 30 Personen. In der Salzburg Milch beträgt die Frauenquote 27,3%, auf Führungsebene sind es gut 20%. “Der ZAMm Lehrgang ist ein gutes Werkzeug für Funktionärinnen. Alles, was ich dort gelernt habe, habe ich in meiner politischen Funktion wirklich brauchen können. Wir in der Salzburg Milch leben, dass wir Frauen forcieren“, erklärte Seywald.

Noch viel Potenzial zu heben

“Die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen ist kein 'Nice-to-have', sondern eine notwendige Investition in die Zukunft. Frauen bringen nicht nur vielfältige Perspektiven, Themen, Stärken und Talente sondern auch den Mut mit, festgefahrene Strukturen zu hinterfragen und innovative Lösungen voranzutreiben. Hier gibt es noch viel Potenzial zu heben, wenn wir die Inhalte der Charta mit Leben füllen“, betonte Kärntner Landesbäuerin Astrid Brunner abschließend.